CHF 25'000 für ein geraubtes Leben

CHF 25'000 für ein geraubtes Leben

Tausende Schweizer Kinder wurden bis 1981 in Erziehungsanstalten traumatisiert. Jetzt erhalten die ersten Opfer eine Entschädigung vom Bund.

Eduard Blaser wurde fast sein ganzes Leben lang bevormundet. Noch heute hat er einen Beistand. Über Geld verfügen oder Entscheidungen selber treffen durfte der heute 84-Jährige nie.

Die Geschichte seiner Entmündigung begann vor 72 Jahren. Damals wurde er in die Beobachtungsstation der Klinik Tschugg bei Erlach BE eingewiesen, weil er die Schule geschwänzt hatte und irgendwer behauptete, er habe epileptische Anfälle.

Dabei litt der Junge bloss an Schwindelanfällen – und unter der strengen Hand des Lehrers. «In die Klinik Tschugg wurde ich zur Erziehung gebracht», so Blaser. Was das in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bedeutete, daran erinnert sich Eduard Blaser nur allzu deutlich.

Eduard Blaser gehört zu jenen 366 Personen, die vom Bund kurz vor Weihnachten eingeschriebene Briefe erhielten: «Solidaritätsbeitrag für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen – Gutheissung Ihres Gesuchs», lautet die Betreffzeile. 25'000 Franken erhält Eduard Blaser nun im Januar auf sein Konto überwiesen. «Als Zeichen der staatlichen Anerkennung des zugefügten Unrechts und zur Wiedergutmachung.»

Für Blaser hat sein Sohn Robert das Gesuch ausgefüllt. Seit kurzem ist er Präsident des Vereins FremdPlatziert, auf seiner Internetseite sammelt der Verein alles Wissen über dieses finstere Kapitel der Schweizer Geschichte.
Robert Blaser wurde 1964 seinerseits unter Vormundschaft gestellt und im Heim Landorf bei Köniz BE untergebracht. «Unter den Kindern herrschte das Faustrecht, auch die Heimleitung setzte auf Gewalt zur Erziehung», erinnert er sich. Später kam er in die Arbeitserziehungsanstalt Kalchrain im Thurgau. Seine Zeit in Erziehungsheimen endete erst mit der Volljährigkeit.

Das Trauma ihrer Jugend wirkt in ihrer ganzen Existenz fort

Obwohl ihm alle Erzieher prophezeiten, «aus dir wird nie etwas», machte Robert Blaser eine Anlehre. Er brachte sich vieles selbst bei, erfand sogar eine Vorrichtung zum Anbringen von Elektroinstallationen, von der er leben kann. Das gab ihm genügend Zeit, sich für Betroffene einzusetzen, die in ihrer Jugend ein ähnliches Schicksal erlitten haben: «Oft bringen sie die Kraft nicht auf, ein Unterstützungsgesuch einzureichen», so Blaser. Das Trauma ihrer Jugend wirkt in ihrer ganzen Existenz fort, viele leben zurückgezogen, manche verwahrlosen.

Eines der Opfer begleitete Robert Blaser sogar bis zur Post, damit der Betroffene den gemeinsam verfassten Brief auch wirklich abschickte. «Als der Mann dann ein paar Wochen danach von den Behörden gebeten wurde, noch eine Kopie seines Ausweises zu schicken, war er ganz ratlos, wusste nicht, ob er überhaupt gültige Papiere hat.»

Manche Anträge wiesen die kantonalen Stellen sogar zurück. «Eine Frau wurde mit der Begründung vertröstet, sie sei ja gar nicht fremdplatziert worden – dabei wurde sie in einem Mütterheim geboren», so Blaser.
Die Frau reichte trotzdem ein Gesuch ein. «Doch so eine Auskunft kann dazu führen, dass jemand die Flinte ins Korn wirft und das Gesuch zurückzieht.»

Die schwierigen Lebensumstände von Opfern staatlicher Massnahmen seien ein wichtiger Grund, weshalb nur wenige einen Solidaritätsbeitrag beantragt hätten. Robert Blaser: «Es wäre darum sehr wichtig, dass Betroffene auch nach der Frist von Ende März ein Gesuch einreichen können.»

Quelle: Blick

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