Bericht zur Veranstaltung vom 02. April 2019

Bericht zur Veranstaltung vom 02. April 2019

2014 setzt der Bundesrat die Unabhängige Expertenkommission (UEK) Administrative Versorgungen ein. Unter ihrer Leitung hat ein interdisziplinäres Forschungsteam die Geschichte dieser Massnahmen untersucht. Zum Abschluss der Forschungsarbeit der UEK reist ein Ausstellungspavillon von März bis Anfang Juni 2019 durch zwölf Schweizer Städte. Parallel dazu finden an den verschiedenen Orten Veranstaltungen statt.

Der Aktuar vom Verein Fremdplatziert hat am 02. April 2019 den Anlass  "Widersprüchlicher Rechtsstaat?" in St. Gallen besucht und für uns einen stichwortartigen Bericht festgehalten.

Moderation: Frau Locher, Organisation UEK, Herr Hanspeter Spörri, Journalist.

Referenten: Frau Professorin Gisela Hauss, Herr Professor Dr. Lukas Gschwend.

Als ich kam und fragte, ob der Anlass nicht früher durchgeführt hätte werden können, wurde ich belehrt, dass er im Rahmen der Universität St. Gallen sei, Punkt. Der Referent, Herr Professor Dr. Lukas Gschwend war lange vorher schon anwesend, so dass der Anlass meines Erachtens sehr wohl früher hätte durchgeführt werden können.

Beginn pünktlich um 20:15 Uhr. Anwesend ca. 25 Personen, kaum bekannte Betroffene. Präsentation von Flyer durch Frau Locher, Herr Spörri, Moderator, begann mit der damaligen Drohung: Pass uf, dass nid versorget wirsch!

Frau Professorin, Gisela Hauss, erzählt von ihrer Forschungstätigkeit, der Schweiz ins Gewissen zu reden. Herr Gschwend ist erstaunt über die alten Gesetze. Frau Hauss hat schon 2006 ein Referat gehalten zum Thema fürsorgerischer Zwangsmassnahmen, damals ohne grosses Echo. Feststellung von ihr, dass sich nicht viel geändert hat, ausser dem heutigen gesellschaftlichen Umgang damit.

Ausstellung darüber in der Öffentlichkeit. In drei Punkte teilte sie das Thema auf. St. Galler Fürsorgepraxis. Runder Tisch, öffentliche Entschuldigung durch Bundesrätinnen Eveline Schlumpf und Sommaruga. Entschädigung, geschichtlicher Rückblick, Bücher, Erwähnung verschiedener „Kategorien“ von Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Soforthilfe, Solidaritätsbeitrag.

Heute: Betroffene haben das Schweigen gebrochen. Herr Spörri redet drein, Diffamierung als Kommunisten. Herr Looslis unbeachtete frühere Kritik zu den Praktiken fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Erwähnung von Änderungen seither von Frau Hauss. Erwähnung des Veranstaltungslokals wegen seinem schönen historischen Ambiente.

Nächster Punkt: Fürsorgepraxis in St. Gallen, meist ehrenamtlich, 300-400 Versorgungen pro Jahr. Statistiken von ihr. Umstrittene Zwangsmassnahmen, Arbeitsanstalten, harte Erziehung von Frauen zur Arbeit. Versorgungen in Kompetenz der Behörden. Flucht, Konflikte.

Aufrechterhalten dieser Praxis durch konservative, bürgerliche Frauenbewegung mit Diffamierung von Frauen zwecks Umerziehung. Reformierte und Behörden waren sich einig in moralischen und eugenischen Gründen, kein Unterschied zwischen Prostitution Unsittlichkeit, Stigmatisierung, triebhaft, unkontrolliert. Konstruieren von negativen Eigenschaften.

Herr Spörri kommentiert das. Erschütternde Briefdokumente. Zwangsplatzierung von 16jähriger mit späterer Einweisung in Arbeitserziehungsantalt. Grosse Freiheit der St. Galler Behörden, ein „Netzwerk“, keine gesetzliche Kontrolle der Behördenpraxis. Warum konnte das passieren? Herr Spörri erwähnt die Naivität der Behörden, Unkenntnis der Gesetze.

Herr Gschwend erwähnt, dass das viel früher gewusst hätte können, respektive dass das die Verantwortlichen nicht wissen wollten, aus verschiedensten Gründen, Obrigkeitshörigkeit!

Präsentation von Herr Gschwend: juristisch-geschichtliche Fragen. 100 jährige Gesetze im Kanton SG! Juristische Zuständigkeiten, gesetzliche Grundlagen im Kt. Thurgau, 100 jährig! Ein Präventionsinstrument! Kritiker wurden ignoriert. Kantone pochten auf ihre Rechte. Mangelnde Rechtspflege. Herr Gschwend erwähnt die „bewahrenden“ Gesetze zu Gunsten der Unternehmer. Beschwerde ans Bundesgericht rein theoretisch. Freiheitsrecht geschwächt, nach 2. Weltkrieg besser. EMRK schafft klare Rechtsform. Schweiz drückt sich lange. ILO kritisierte schon früher die Schweiz, ohne Erfolg!

Versagen des Rechtsstaates, alte Gesetze in Kantonen. Erwähnung von Hindelbank als krasses Beispiel. Kein Unterschied in der Praxis zwischen Delinquenten und administrativ Versorgten wegen ökonomischen

Gründen. Mangelhafte Standards. Aufhebung von Anstalten aus finanziellen, ökonomischen, gesetzlichen Gründen. Bis sieben Jahre nach Inkrafttreten der EMRK immer noch alte Praxis.

Ankündigung von baldigem Ende der Veranstaltung durch Herrn Gschwend.
Frage vom Publikum nach Organisation der bürgerlichen Frauenorganisationen, Mitarbeit bei Versorgungen, durch Diffamierung armer Töchter. Keine Aufsicht von Bund, Gemeinden autonom in Sachen fürsorgerischer Zwangsmassnahmen, Behördenwillkür. Beispiel für „Auslastung“ von Anstalten: Anfrage der Anstalt „Bitzi“ im Toggenburg, Kt. St.Gallen bei Gemeinden zwecks Auslastung und Rentabilität der Anstalt für Nachschub von zu versorgenden Personen!

Eine Feststellung aus dem Publikum war, dass es eine „Industrie“ von Versorgten, Sklaven, gab, im Dienste der herrschenden Klasse.

Meine Gedanken:

Die Referentin und der Referent führten souverän mit ganzheitlichem, allseitigem Wissen durch das Thema der verschiedenen fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, kompetent, objektiv in allen Belangen, gut verständlich, beispielsreich. 

Keine verallgemeinernden Bezeichnungen von „Staat“, oder „Gesellschaft“. Die Frage stellt sich nach den Missbräuchen, sexuell, Zwangsadoptionen, exzessive körperliche und seelische Misshandlungen, Medikamententests ohne Einverständnis von Insassen, usw. Weitere Folgen für die Betroffenen: Ausbeutung durch Zwangsarbeit, Zwangskastrierungen, gesellschaftliche und berufliche Diskriminierung, Zwangsaborte, gleiche Stigmatisierung wie die Delinquenten. Perfides Aussortierungssystem.

--> Keine Erwähnung von Namen von Tätern in diesen Institutionen!

Nicht ganz vollständiger Bericht von Veranstaltung der UEK in St. Gallen wegen Heimfahrt.

Zürich, 03. April 2019


Toni Aebischer

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